vips Positionspapier – Preismodelle beschleunigen den Zugang zu innovativen Medikamenten
Unser oberstes Interesse ist es, dass Innovationen den Patientinnen und Patienten so rasch wie möglich zur Verfügung stehen. Damit der Zugang zu innovativen Medikamenten gesichert ist, sind optimierte Prozesse respektive massgeschneiderte Preismodelle gefragt, die der Vielfalt und Komplexität neuer Therapien gerecht werden. Damit wird auf lange Sicht auch der Innovationsstandort Schweiz gestärkt.
Innovative Therapien sollen in der Schweiz zugelassen und vergütet werden. Da viele dieser Innovationen sehr spezifische Krankheiten behandeln und hoch personalisiert sind, ist eine Behandlung oft kostenintensiv. Die Kosten werden mit der hohen Wirksamkeit aber überdurchschnittlich kompensiert.
Schneller, einfacher und unbürokratischer Zugang zur Therapie
Bei neuen, innovativen Therapien, die in ihrer Form und Komplexität mit den klassischen Medikationen nicht mehr vergleichbar sind, stösst das heutige System des SL-Aufnahmeprozesses an seine Grenzen. Das heisst, die bestehenden Regeln würdigen nicht den Nutzen innovativer neuer Arzneimittel. Damit möglichst viele Patientinnen und Patienten in der Schweiz von innovativen Therapien profitieren können, sind neuartige Ansätze gefragt. Hier können Preismodelle Komplexität und Unsicherheit reduzieren, sprich Erstattungslösungen beschleunigen. So sorgen sie dafür, dass schwerkranke Menschen rasch Zugang zu ihren dringend benötigten Arzneimitteln und Therapien erhalten. Das BAG, die Pharmaindustrie und die Versicherer sind in der Verantwortung, Preismodelle dahingehend zu konkretisieren, dass Unsicherheiten in Bezug auf Budget Impact (wieviel kostet die Therapie das Gesundheitswesen) und Datenlage (wie wirkt die Therapie in der täglichen Praxis) adressiert werden können.
Dr. (PhD) Anita Schnyder, Head of Market Access and Pricing Switzerland, Vertex Pharmaceuticals (CH) GmbH: «Preismodelle sind sehr positiv zu bewerten, um einen breiten und raschen Zugang für Patienten zu ermöglichen. Mit massgeschneiderten Preismodellen im hochspezialisierten Setting ist zudem eine indikationsspezifische Preisgestaltung möglich.»
Preismodelle alleine greifen zu kurz
Ein Beispiel für ein Preismodell kann ein so genanntes «pay-for-performance» Modell sein. Das heisst, ein Medikament muss nur dann bezahlt werden, wenn es beim Patienten auch wirkt. Ein anderes Preismodell regelt zwischen den beteiligten Akteuren vorausschauend entsprechende Rückzahlungsbedingungen und weitere Modalitäten. Patientinnen und Patienten müssen dadurch nicht unnötig lange auf Behandlungen warten, die sie dringend benötigen, sondern erhalten Zugang, sobald ein innovatives Arzneimittel zugelassen ist. Wichtig zu erwähnen ist, dass Medikamente von der Arzneimittelbehörde Swissmedic zugelassen sind und daher auch ihre Sicherheit und Wirksamkeit bewiesen ist.
Preismodelle sind dafür da, rasch und unbürokratisch einen angemessenen Preis für die Vergütung der Medikamente zu finden. Sie repräsentieren einen effektiven Weg, die Versorgungssicherheit und den raschen Patientenzugang zu gewährleisten. Ohne Preismodelle wäre es für viele Patientinnen und Patienten nicht möglich, Zugang zu neuen, hochinnovativen Medikamenten und Therapien zu bekommen. Preismodelle sollten aber klare Regeln haben, wie sie anzuwenden sind und stellen auch nur eine von mehreren Säulen dar, um den Patientenzugang in der Schweiz zu verbessern. Preismodelle sind letztlich die Instrumente, die dabei helfen, die Preisfestsetzung auf eine breitere Basis zu stellen. Es braucht grundlegende Reformen am ordentlichen Prozess über die Spezialitätenliste (SL).
Verzögerter Innovationszugang über die Spezialitätenliste
Die Preisbildung für verschreibungspflichtige Medikamente liegt in der Verantwortung des Bundesamts für Gesundheit (BAG) und ist stark reguliert. Ein Medikament ist für alle Patientinnen und Patienten zugänglich, wenn das BAG dem Medikament einen Preis gegeben und es auf die Spezialitätenliste aufgenommen hat – erst dann muss es auch von Krankenversicherungen ohne bürokratischen Aufwand vergütet werden. Im Prinzip schreibt die Verordnung ab der Swissmedic Zulassung eine Frist von 60 Tagen vor, bis die Aufnahme in die SL abgeschlossen sein muss. Der Zugang zu neuen innovativen Arzneimitteln ist in der Schweiz jedoch zunehmend mit langen Verzögerungen verbunden. Oberstes Ziel für eine Zulassungsinhaberin ist die Aufnahme ihres Produktes in die SL.
Artikel 71a-d KVV schafft Zugang für Patienten mit scherwiegenden Erkrankungen
Wenn Patientinnen und Patienten ein Arzneimittel benötigen, das nicht zugelassen ist oder nicht respektive nur stark eingeschränkt auf der Spezialitätenliste steht und somit nicht durch die obligatorische Krankenversicherung vergütet wird, kann der Artikel 71a-d KVV Hand bieten. Über diese Vergütung im Einzelfall können Betroffene unter bestimmten Voraussetzungen trotzdem Zugang erhalten. In diesem Sinne ist die Vergütung im Einzelfall über diesen Artikel eine Erfolgsgeschichte.
Da in der Schweiz ein massiver Stau im regulären SL-Vergütungsprozess besteht, müssen Ärztinnen und Ärzte jedoch immer öfter auf den Artikel 71a-d KVV ausweichen, um ihren Patientinnen und Patienten die bestmögliche Behandlung zu ermöglichen. Dies führt zunehmend zu einer Überlastung des an sich nur für Einzelfälle gedachten Artikels. Denn im Gegensatz zur Standardvergütung liegt die Vergütungsentscheidung über diesen Artikel bei der jeweiligen Krankenkasse und hängt somit vom konkreten Einzelfall ab. Die Gleichbehandlung von Versicherten und die Homogenität in der Bearbeitung der Gesuche sind damit keineswegs gegeben.
Voraussetzung für die Rückkehr zu einer sachgerechte Anwendung des «Einzelfallartikels» ist, dass der Standardprozess der SL-Aufnahme beschleunigt und den innovativen Therapien entsprechend Rechnung getragen wird. Eine Umgehung der Spezialitätenliste über besagten Artikel ist weder zielführend noch praxistauglich.
KVV/KLV Revision verschärft Problematik des Patientenzugangs und unterläuft Versorgungsicherheit
Die vom Bundesrat geplante Revision der Vergütung im Einzelfall (KVV Art. 71a-d) hätte spürbar negative Folgen, da die Vorschläge die aktuell bestehenden, dringenden Probleme bei der Aufnahme von innovativen Arzneimitteln in die Spezialitätenliste noch zementieren, anstatt den Patientenzugang zu verbessern. Für Patientinnen und Patienten mit schwerwiegenden Erkrankungen würde der dringend benötigte Zugang zu innovativen Therapien deutlich weniger gewährleistet sein. Dieser Entwicklung muss entschieden entgegengewirkt und den dramatischen Auswirkungen auf die Versorgungssicherheit in der Schweiz Einhalt geboten werden. Die vips fordert deshalb, die Lücken im Patientenzugang zu schliessen, anstatt sie noch zu verschärfen.
Implementierung nutzenbasierter Preismodelle – Semi-Vertraulichkeit essenziell
Preismodelle sollten zu kürzeren Aufnahmezeiten in die Spezialitätenliste und zu einem schnelleren Patientenzugang führen. Sie dürfen nicht zu kostspieligen Administrationshürden verkommen, sondern haben zu Reduktion von Unsicherheit beizutragen – gerade auch mit Blick auf die Planbarkeit für Pharmafirmen, die dadurch wissen, welches Modell wann zum Einsatz kommen kann.
Preismodelle stellen sicher, dass die Vergütung den Nutzen neuartiger und innovativer Therapien widerspiegelt und deren Finanzierbarkeit gewährleistet ist. Sie erlauben eine flexible, an die konkrete Situation und an ein jeweiliges Land bzw. dessen Gesundheitssystem angepasste Preisgestaltung. Preismodelle sollen aber nicht nur ein Instrument für Kostensenkungen sein. Vielmehr sollen sie einen Ansatz bilden, um die Innovation zu fördern. Sie müssen nutzenbasiert und massgeschneidert sein, die Implementierung hat unbürokratisch, schnell und effizient zu erfolgen.
Semi-vertrauliche Preismodelle ermöglichen eine flexible, an die lokale Marktsituation angepasste Preisgestaltung. Damit Patientinnen und Patienten trotz komplexer Prozesse rasch Zugang zu neuen Medikamenten erhalten und die Kosten für das Gesundheitswesen nicht unnötig steigen, kennen das BAG, die Zulassungsinhaberin sowie der Versicherer die vereinbarten Konditionen und wissen, welcher Teil des Preises durch die Pharmafirma rückerstattet wird, daher spricht man in diesem Zusammenhang auch von semi-transparenten Preismodellen.
Vor dem Hintergrund der internationalen Preisreferenzierung (die Länder referenzieren auf die Schweiz) ist die im Europäischen Ausland gängige eingeschränkte Transparenz auch für Preismodelle in der Schweiz essenziell. Semi-transparente Preismodelle werden in vielen Staaten flächendeckend umgesetzt und so ist es wichtig, dass auch in der Schweiz diese Praxis gilt.
Semi-transparente Preismodelle mit dem Ziel, den Patientenzugang zu verbessern
Preismodelle und entsprechende Rückerstattungen (das heisst die Allgemeinheit profitiert) sind heute internationale Praxis. Gleichzeitig sind sie innerhalb des Schweizer Medikamentenmarkts klar die Ausnahme. In der Schweiz sind über 3’200 Medikamente auf der Spezialitätenliste und werden damit durch die Krankenkassen vergütet.
Deutlich weniger als 100 dieser rund 3’200 Medikamente auf der SL sind nicht komplett transparent (Stand Anfang 2023). Dabei handelt es sich um komplexe Fälle.
Bereits seit 2019 sind Diskussionen mit der Verwaltung am Laufen über die Ausgestaltung der Preismodelle, in den letzten Monaten haben sich die Gespräche intensiviert. Die vips ist zusammen mit dem BAG sowie den Versicherern daran, tragfähige Lösungen zu finden und entsprechende Optimierungsbereiche für die aktuell vom BAG angewendeten Preismodelltypen auszuarbeiten. Alle beteiligten Stakeholder sind bereit, das BAG bei der technischen Umsetzung mit Know-how und Expertise zu unterstützen.
Die Preismodelle im grösseren Kontext
Mit dem Kostendämpfungspaket 2 (KP2) möchte der Bundesrat die Kostenentwicklung im Gesundheitswesen dämpfen. Nur ein nachhaltig finanziertes Gesundheitswesen ist ein zukunftsfähiges Gesundheitswesen. So ist auch die Pharmaindustrie bereit, konstruktive und zielführende Massnahmen zur Kostendämpfung im Gesundheitswesen mitzutragen. Diese dürfen aber nicht zulasten des Zugangs der Patientinnen und Patienten zu einer qualitativ hochstehenden Versorgung gehen. Alle, die dringend auf ein Medikament angewiesen sind, sollten auch rasch Zugang dazu erhalten.
Wir müssen gemeinsam Lösungen finden, um die Gesundheitskosten zu dämpfen. Mit der regelmässigen Preisüberprüfung hat die Pharmaindustrie bei den Medikamenten jährlich bereits rund 1,2 Milliarden Franken eingespart. Damit ist sie die Akteurin im Gesundheitswesen, die bereits einen enormen Beitrag zur Reduktion der Prämienlast geleistet hat – ein Zeichen, dass sie ihre Verantwortung ernst nimmt.
Wir stellen fest, dass der Preisfindungsprozess bei neuartigen Therapien mehr und mehr an seine Grenzen stösst und da können Preismodelle unter gewissen Rahmenbedingungen ein probates Mittel sein. Die im KP2 vorgeschlagenen semi-transparenten Preismodelle unterstützen wir. Wichtig ist, dass Kosteneinsparungen, Nutzen und (rasche) Verfügbarkeit ausgewogen abgebildet sind.
Bereits heute wird die Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit einer Therapie regelmässig überprüft und zuvor vereinbarte Umsatzvolumengrenzen, Rückerstattungen oder Preisanpassungen können in Preismodellen integriert werden. In Zukunft könnten solche Preismodelle noch stärker dazu beitragen, die Kosten im Bereich der Medikamente zu dämpfen. Im Rahmen des Kostendämpfungspakets 2 sollen deshalb die gesetzlichen Grundlagen für die Umsetzung von Preismodellen gestärkt werden.
Die Wirksamkeit eines Medikamentes wird von der Swissmedic überprüft, nicht selten weicht die Wirksamkeitsanalyse des BAG substanziell von derjenigen durch die Swissmedic ab. Damit solche «Parallelzulassungen» nach Möglichkeit vermieden werden, könnten Preismodelle einen wichtigen Beitrag leisten im Sinne des Innovationszugangs.
Preismodelle, welche der Bundesrat als Teil des KP2 vorschlägt, sind ein Weg, um den raschen Patientenzugang zu Innovationen sicherzustellen. Bedauerlich ist, dass der Bundesrat die Chance verpasst, den Zugang zu Arzneimitteln in der Schweiz grundlegend zu verbessern. Stattdessen enthält das KP2 – neben den Preismodellen – einige Elemente wie das Billigstprinzip oder die «differenzierte WZW (Wirksamkeit, Zweckmässigkeit, Wirtschaftlichkeit) Überprüfung», welche die Zugangsbedingungen für die Patientinnen und Patienten weiter verschlechtern und die Versorgung gefährden. Umso wichtiger, dass das Parlament hier nachbessert.
Faire Rahmenbedingungen für die grösste Schweizer Export Industrie bilden den Pfeiler für eine starke lokale Industrie und wirken sich positiv auf den Wirtschaftsstandort Schweiz aus, was wesentlich zum Wohlstand hierzulande beitragt.
Wofür wir einstehen und was wir fordern
- Wir unterstützen nutzenbasierte Preismodelle – mit dem Ziel, dass die Patienten gleichberechtigten Zugang zur Therapie erhalten.
- Es ist wichtig, mit allen Stakeholdern zusammen allgemeine Grundsätze für die Preismodelle zu schaffen, damit eine gemeinsame Sichtweise entsteht. Ebenso zentral ist, dass bei Preismodellen Flexibilität gegeben ist. Die Modelle müssen allen bestehenden und künftigen Indikationsgebieten und Produkteausrichtungen gerecht werden. Die Situation ist bestmöglich widerzuspiegeln in einer Vielfalt an Modellen.
- Das Ziel sollte sein, den Patientinnen und Patienten einen raschen Zugang zu innovativen Arzneimitteln zu ermöglichen. Jedoch müssen Kosteneinsparungen, Nutzen und (rasche) Verfügbarkeit ausgewogen abgebildet sein. Preismodelle sollen nicht in erster Linie ein Instrument für Kostensenkungen sein – vielmehr sollen sie einen Ansatz bilden, um Innovation zugänglich zu machen. Ein zu starker Fokus auf die Kosten anstelle auf den Nutzen dürfte gar die internationale Wettbewerbsfähigkeit der Schweiz negativ beeinflussen.
- Bei der Vergütung von Innovationen ist der Nutzen besser zu berücksichtigen. Der Nutzen soll angemessen vergütet werden, damit Forschung und Entwicklung in der Schweiz auch auf lange Sicht gesichert sind.
- Faire Rahmenbedingungen sind so zu schaffen, dass unter Berücksichtigung lokaler Gegebenheiten die breit gefächerte Versorgung der Bevölkerung mit innovativen Medikamenten gesichert ist – für einen rechtsgleichen, flächendeckenden und raschen Zugang der Patientinnen und Patienten in der Schweiz, für eine ganzheitliche und nachhaltige Patientengesundheit und für einen starken Pharmastandort Schweiz.
Weitere Informationen
Marcel Plattner, Präsident, 079 469 92 68
Ernst Niemack, Geschäftsführer, 078 646 80 30